Michael Borner über Pat Metheny und das Phänomen des ‚scheinbar Unlernbaren‘ in der Improvisation. 

„This book is for Pat, partially because he made it possible, but mostly because he never needed it.“  

           – Mick Goodrick,  ‚the advancing guitarist‘ applying guitar concepts & techniques

Es wird wohl ungefähr Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre gewesen sein, als ich die ersten Aufnahmen von Pat Metheny zu Gehör bekam. Vieles aus dem Repertoire des ECM-Labels war nicht nur in elitären Kreisen bekannt, sondern lag auch in so manchen Kneipen täglich auf dem Plattenteller. Wie auch immer – irgendwann, das erste Mal, habe ich mich darüber gewundert, wie jemand mit ‚cleanem‘ Sound so präsent sein kann, ohne in das mir mit respektvollem Blick auf Joe Pass bekannte Spiel traditioneller Jazzlines zu verfallen. Nicht nur ich, sondern auch viele andere Gitarristen – auf der Suche nach intensiven Ausdrucksmöglichkeiten – waren längst Bekennende der Rock – Spielweise mit Distortion, wenn auch mit recht ‚ausgeflipptem‘ Anspruch: Solos mit langen Improvisationen, Blues und Pentatonik hinter sich lassend, energiegeladen, dies manchmal vordergründiger als eine bestimmte Tonauswahl. Jedes Mal begab man sich dabei auf eine abenteuerliche Reise. Dieser Ansatz war sehr typisch für viele deutsche, nicht kommerziell orientierte Bands, die den international benutzten Begriff „Krautrock“ prägten. Ganz anders Pat Metheny – trotz der großen Menge namhafter Fusion-Gitarristen, die mehr oder weniger Jimi Hendrix‘ Spuren weiterführten, kam er ganz ohne Rock-Attitüde aus, kein Bending, keine harten Riffs; er schaffte sich mit seinen Kompositionen ein Umfeld, in dem sich sein Gitarrenspiel auf homogenste Weise – ohne Fokussierung auf ‚akrobatische‘ Effekte – einbetten liess. Dabei entwickelte er früh eine ganz bestimmte Gestik des Spiels, die immer aus einem scheinbar unendlichen Potential an Energie zu schöpfen schien. Meine eigenen Versuche mit einem unverzerrten Sound etwas Brauchbares zu erreichen, dauerten eine lange Zeit. Von der Wahl des richtigen Plektrums, einer geeigneten Gitarre, der richtigen Anschlags-Intensität bis hin zum geeigneten Verstärker – alles benötigte den Blick auf das Wesentliche; eine sehr grundsätzliche Massnahme und: eine große Umstellung. Die verzerrte Gitarre, die stets erhöhte Aufmerksamkeit erreichen sollte und konnte, wurde von einer viel differenzierten Artikulation musikalischer Inhalte mit unauffälligerem Erscheinungsbild abgelöst. Pat Methenys Stil wurde nach und nach richtungsweisend für unzählige Gitarristen. Da er immer auf der Suche nach Neuem war und ist, gibt es in jeder seiner Improvisationen einen neuen, eigenen musikalischen Gedankenfluss, der mit einer Selbstverständlichkeit ausgestattet ist, die auf anspruchsvollste Vorraussetzungen fußen muss. Das Ganze bekommt dabei eine Art Leichtigkeit, der Akkordverlauf wird dabei nicht lediglich mit den richtigen ‚Scales‘ ausgefüllt, er wird mit melodischen und rhythmischen Komponenten regelrecht kontrapunktiert. Dieser Gitarrist zeigt nicht, dass er den Verlauf des Stückes kennt, er schafft eine neue, ganz eigenständige Ebene, die mit dem Stück kommuniziert. „Ich stelle mich tagtäglich der Herausforderung, die perfekten Notenkombinationen zu finden. Ich befinde mich ständig auf der Suche nach dem, was hinter diesen Notenverbindungen stehen muss. Es gibt da irgendwo eine Bedeutung, die sich uns allen bisher nicht offenbart hat.“ (Pat Metheny/ Interview mit Thorsten Hingst/ Jazzpodium 9/ 2011) 

So sind es weniger seine Improvisations-Linien, die uns lehren, wenn wir sie auswendig lernen, als das ‚Such-Bedürfnis‘, eine Notwendigkeit für jeden Improvisierenden. Die sehr komfortablen Voraussetzungen einer präzisen tonaler sowie rhythmischer Orientierung bleiben dabei eine Selbstverständlichkeit und sollten immer eine wichtige Rolle einnehmen. Hier handelt es sich (noch)  um ein – wenn auch unendliches – konkretes Lernfeld mit erfassbaren Strukturen. Wie aber gelangt man aber an eine Qualität, die Pat Metheny besitzt? Darf man das fragen, oder vergreift man sich am Genie-Begriff? Bei solchen Größen zeigt sich, dass es nicht allein musikalische Kenntnisse sein können, die eine solche Einzigartigkeit hervorbringen können. Alle günstigen Komponenten scheinen hier zusammen zu kommen: musikalisches Talent, musikalische Sozialisation, Intelligenz, musikalisches Wissen, Disziplin, Offenheit, Sensibilität, Intuition, positives Denken und vielleicht einige mehr. Lässt sich eine solche Verknüpfung lernen? Ich glaube ja. Wir verknüpfen diese Dinge bei jedem Spielen. Je mehr wir musizieren, desto mehr kommt um so schneller in Verbindung. Nur werden die einzelnen Komponenten bei jedem von uns verschieden sein, nicht nur besser oder schlechter, sondern einfach anders. Wenn musikalisch so perfekt kombiniert wird wie im Spiel Pat Methenys, wird man sich schwerlich einer Idealisierung dessen entziehen können. Ich glaube, er hat immer das gesagt, was wir alle eigentlich sagen wollten. Seine Ausdrucksform ist und bleibt vorbildlich. Aber was bleibt uns zu sagen, wenn jemand schon alles gesagt hat? Sich dem Vorredner anzuschließen ist sicher keine Lösung. Auch wenn ich Gleiches sagen will, sollte ich es mit eigenen Worten noch einmal sagen. Es wird immer etwas Anderes, Persönliches in Erscheinung treten lassen, vielleicht eine andere Gewichtung, egal ob ich diese Qualität erreiche. Für eine eigene Entwicklung ist es ratsam die Grenzen der Bewunderung einzuhalten, um nicht zu ‚verstummen‘.